Dr. Daniel Rogger

Zur Klimageschichte Obwaldens

Der nachfolgende Beitrag hat das Ziel, den Klimaverlauf seit der letzten Eiszeit vor 11700 Jahren und die Bedeutung des Klimas auf die Ausgestaltung des vom Menschen bewohnten und bewirtschafteten Siedlungs- und Kulturraumes in Obwalden in einem Überblick zu skizzieren.

Die letzten 11700 Jahre können wie folgt charakterisiert werden. Ab 11700 Jahren vor heute erhöhte sich die Sommertemperatur innerhalb von weniger als 100 Jahren um 7-12°C und die Eisdecken, welche die Region Obwalden zugedeckt hatten, begannen zu schmelzen. Erste Pflanzen siedelten sich in unserer Region an. Das feuchtwarme Klima im Frühholozän (11700-7200 Jahre vor heute) begünstigte den allmählichen Übergang der Jäger- und Sammlergesellschaften zu agrarisch tätigen Gesellschaften. In Obwalden gibt es Funde von steinzeitlichen Jägern um 8500 Jahre vor heute. Die Kälterückfälle in dieser Zeit sind als Folgen des ausfliessenden Schmelzwassers, vor allem aus dem nordamerikanischen Eisschild, zu sehen.

Vor 7200 Jahren begann dann das Mittelholozän (7200-4200 vor heute). Archäologische Funde in alpinen Hochlagen Obwaldens deuten auf alpwirtschaftliche Tätigkeiten zwischen 6000-5000 Jahren vor heute hin.

Der Übergang zum kühleren Spätholozän oder Neoglazial erfolgte dann relativ sprunghaft ab 4200 vor heute. Dieser markanteste Schnitt im Klima des Holozäns wurde durch eine rasche Umstellung der Zirkulation beeinflusst. Vier Kalt- und vier Warmphasen kennzeichnen grundsätzlich den weiteren Verlauf des Spätholozäns ab 3800 vor heute. Die 1. Kaltphase dauerte von 3800-3500 vor heute, darauf folgte die 1. Warmphase 3500-2950 vor heute in der Bronzezeit. Die 2. Kaltphase im Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit schloss sich 2950-2400 vor heute daran an, darauf folgte die 2. Warmphase 2400 vor heute bis 50 n.Chr. (oder 400 vor bis 50 nach Chr.) in der Römerzeit. Die 3. Kaltphase umfasst die Zeit 50 n.Chr. bis 900 n.Chr. im Frühmittelalter, daran anschliessend folgte im Hochmittelalter die 3. Warmphase 900-1260 n.Chr. Dann ist die 4. Kaltphase bekannt als Kleine Eiszeit von 1260-1870 und ab 1870 setzt die 4. Warmphase ein, die als Anthropozän den beginnenden Einfluss der menschlichen Tätigkeiten auf das Klima bezeichnet. In den Kaltphasen stiessen die Gletscher jeweils wieder vor und in den periodischen wärmeren Phasen waren typischerweise keine tropischen Vulkanausbrüche zu verzeichnen, die das Klima negativ beeinflussen konnten. So beispielsweise zur Zeit des Klimaoptimums am Ende der Eisen- und frühen Römerzeit und der hochmittelalterlichen Periode zwischen 900-1100 n.Chr.

In Obwalden bezeugen archäologische Funde aus der 1. Kaltphase des Spätholozäns (3800-3500 vor heute) die Besiedlung in der Umgebung des Sarnersees zwischen 4000-3700 vor heute. Funde aus der 1. Warmphase deuten auf eine vermehrte landwirtschaftliche Tätigkeit in Obwalden zwischen 3600-3300 vor heute hin. Wenige archäologische Funde in Obwalden zwischen 2800-2500 vor heute haben vielleicht mit der Klimaverschlechterung zur Zeit der 2. Kaltphase (2950-2400 v.h.) zu tun und könnten ein Hinweis für den Rückgang der inneralpinen Bevölkerung sein.

Die Siedlung des Gutshofes in Alpnach bezeugt die römische Präsenz in der 2. Warmphase (2400 vor heute oder 400 v.Chr. bis 50 n.Chr.). In der 3. Kaltphase (50-900 n.Chr.) fanden die grossen Züge der Völkerwanderung und der Rückzug der Römer aus unserer Region statt. Die Gegend von Obwalden wurde etappenweise von Alemannen besiedelt. Zahlreiche Vulkanausbrüche vor allem im 6. Jahrhundert und ein Aktivitätsminimum der Sonne führten in ganz Europa zu Hungersnöten und Seuchenzügen und waren wohl mit ein Grund für den Untergang des römischen Reiches.

In der nächsten 3. Warmphase (900-1260 n.Chr.) wurde in Obwalden fleissig gerodet. Die Bewirtschaftungsflächen wurden erweitert und die Landwirtschaft intensiviert. Die Gletscher zogen sich zurück und hatten in etwa den gleichen Stand wie heute. Vulkanausbrüche sind bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts keine nachzuweisen.

Die 4. Kaltphase folgte als Kleine Eiszeit und dauerte von 1260 bis 1870. Diese Periode war begleitet von grossen Vulkanausbrüchen, einer schwachen Solareinstrahlung im Nordsommer aufgrund der Erdbahnschwankungen und solaren Aktivitätsminima. Die Kleine Eiszeit war keine einheitliche Klimaperiode. Längere kältere Abschnitte wechselten mit teilweise extremen Hitzejahren und Trockenperioden. Das Wetter wurde sprunghaft und unberechenbar. Die agrarisch dominierte Gesellschaft stand vor fast unlösbaren Problemen. Missernten, Hunger und Seuchen hinterliessen tiefe Spuren im Alltag. Zwischen 1560-1630 verabschiedete sich der Sommer, so wie er bisher erfahren worden ist. Regen, Schnee, Stürme und Hagel wurden zu dominierenden Wetterphänomenen. Der Winter kehrte öfters mitten im Sommer zurück.

In diese Zeitspanne fiel auch der Höhepunkt der Hexenverfolgung. Ab 1572 bis 1696 wurden in Obwalden mindestens 132 Personen als Hexen hingerichtet. Die wetterbedingte Verunsicherung in der Bevölkerung scheint in der Hexenverfolgung ein Ventil gefunden zu haben. Ein Teilaspekt der wirtschaftlichen Überlebensstrategie der Obwaldner Bevölkerung ist die ab dem 14. Jahrhundert feststellbare Intensivierung der Viehzucht. Vor allem der Vieh- und Pferdehandel in die Lombardei brachte neue Einkommensmöglichkeiten. Neben Ersatz- und Aufzuchtvieh und Pferden für den Kriegsdienst lieferten die Obwaldner Bauern über Brünig, Grimsel, Gries und Eschental bald auch Käse in den Süden. Die ständigen Kriegswirren in Ober- und Mittelitalien förderten auch das Söldnerwesen und den Export von willigen Kriegsknechten. Der Verkauf von Kriegsdienstleistungen war eine zusätzliche Einkommensquelle in einer Agrargesellschaft, die durch die Klimaverschlechterung der Kleinen Eiszeit hart um das tägliche Überleben zu kämpfen hatte.

Das „Jahr ohne Sommer“ 1816 im Gefolge des Vulkanausbruchs des Tambora in Indonesien von 1815 zeigt beispielhaft die negativen Einflüsse solcher Ausbrüche auf die Agrarproduktion in unserer Region und das globale Zusammenwirken klimatischer Ereignisse. Hungersnöte, Seuchen und zahlreiche Tote in den östlichen Regionen der Schweiz ohne ausreichende Selbstversorgung waren die Folge. Auch in heutiger Zeit würde ein solcher Vulkanausbruch die Nahrungsmittelversorgung in der Schweiz vor Probleme stellen, die nur durch internationale globale Handelsmöglichkeiten zu lösen wären.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein allmählicher Temperaturanstieg zu verzeichnen. Der Beginn der modernen 4. Warmphase des Spätholozäns wird auf das Jahr 1870 gelegt. Die konträren Diskussionen um den Einfluss des Menschen auf den Klimaverlauf der aktuellen Warmperiode sind noch im Gange. Fakt ist, dass kalte Anomalien, die in den letzten 500 Jahren vorkamen, seit 1988 ausgeblieben sind und die Durchschnittstemperatur der Erde von 1880 bis 2012 um 0.85°C angestiegen ist.