Peter Lienert

Der Luchs zurück in der Schweiz; ein Meilenstein für unsere Artenvielfalt

In meinen Gedanken möchte ich zurückblicken auf die Wiederansiedlung des Luchses vor 50 Jahren (1971) und dabei den entsprechenden Einfluss auf das Ökosystem miteinbeziehen. Ich masse mir nicht an, eine irgend-wie abschliessende Bilanz zu ziehen nach diesen 50 Jahren. Das überlasse ich gerne der Wissenschaft z.B. der KORA, der Stiftung, die im Auftrag des Bundes die Lebensweise der Grossraubtiere erforscht und die Entwick-lung ihrer Population überwacht. Ich versuche vielmehr, auf die Hinter-gründe der damaligen Entscheide zur Wiederansiedlung und deren Aus-wirkungen zurückzublicken sowie Überlegungen zu machen, warum die Auswilderung im Herzen der Schweiz, in Obwalden erfolgte.

Ein Ökosystem ist ein Beziehungsgefüge von Mineralien, Pflanzen und Tieren. Die verschiedenen Komponenten sind voneinander abhängig. Von der Vegetation ernähren sich die Pflanzenfresser und von diesen wiederum die Fleischfresser. Und Bakterien und Pilze bauen totes, orga-nisches Material wieder zu Mineralstoffen ab. An diesem einfachen Kreis-lauf und der Rollenverteilung hat sich seit Beginn des Lebens auf der Er-de nichts geändert, obwohl im Laufe der Erdgeschichte Millionen von Arten entstanden und wieder starben.

Rehe, Gämsen und Luchse zum Beispiel haben seit Jahrtausenden in un-gezählten, kleinen Adaptionen nicht nur ihre Gestalt, sondern auch ihr Verhalten und selbst ihr Sozialsystem aufeinander eingestellt. Mit ande-ren Worten: Sie eigneten sich jene Eigenschaften und Fähigkeiten an, die zum Überleben ihrer Art notwendig waren. Gleichzeitig regelten die Be-ziehungen zwischen Raub- und Beutetieren auch die Grösse der Populati-onen auf natürliche Weise. Keine der Arten konnte übermässig zunehmen und so ihre eigene Lebensgrundlage gefährden. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass eine Art ihre Beute ausrottet. Doch seit der Mensch in diese Kreisläufe eingriff, hat sich das geändert.

Nachdem die Grossraubtiere (Wolf, Bär, Luchs) ausgerottet wurden, nimmt der Mensch für sich in Anspruch, ihre Rolle in der Natur zu übernehmen, das heisst, die Menge der Pflanzenfresser zu regulieren. Das können wir Menschen aber nicht abschliessend machen. Raubtiere beeinflussen ihre Beutetiere nämlich nicht nur durch die Zahl ihrer Op-fer oder der Beute, sondern allein schon durch ihre Anwesenheit. Rehe zum Beispiel verhalten sich anders und verteilen sich anders im Gelän-de, wenn etwa der Luchs anwesend ist.

Diese Erkenntnis erforderte eine Rückbesinnung auf ein verträgliches Nebeneinander von intakter Natur und menschlicher Nutzung.